„DER AUSTRITT AUS DER EU IST FÜR UNSER LAND KEINE OPTION!“

Brennend Aktuelles und Europathemen in der Region: Schwabens Europaabgeordnerter Markus Ferber im top schwaben-Interview

Markus Ferber ist für den Stimmkreis Bayerisch-Schwaben Abgeordneter im Europäischen Parlament. Der 59-jährige Augsburger ist für die CSU Mitglied der Europäischen Volkspartei EVP, welche die älteste und größte Fraktion im EU-Parlament stellt. / Stefan Mayr /

Markus Ferber ist seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und vertritt seit 2013 als Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand im Europäischen Parlament die Interessen der Wirtschaft. Seit 2018 hat er auch das Amt des Koordinators der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung im EU-Parlament inne. Seit 2020 ist der gebürtige Augsburger, der heute in Schwabmünchen im Landkreis Augsburg lebt, Vorsitzender der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, die sich der demokratischen und staatsbürgerlichen Bildung widmet. Ferber studierte Elektrotechnik an der TU München und arbeitete als Ingenieur, bevor er mit 29 Jahren in die Politik wechselte.

Sie kommen gerade von einer politischen Informationsveranstaltung der Fachoberschule und Berufsoberschule Augsburg. Welche sind die Themen, die im Moment für die junge Generation eine besondere Rolle spielen?
Ferber: Topthema war die Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik und die Frage, was Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine für Europa bedeutet.

Was können Sie darauf antworten? Wohin bewegt sich Europa?
Ferber: Ich möchte, dass sich Europa zu mehr Zusammenarbeit bewegt. Und ich will, dass wir uns als Europäer gemeinsam schützen und gemeinsam Beschaffung organisieren. Wir brauchen zum Beispiel ein Raketenabwehrschild auf europäischer Ebene. Es macht Sinn, dass wir solche Dinge gemeinsam entwickeln. Ich will aber auch, dass die Wertschöpfung in Europa stattfindet und dass wir nicht alles in den USA kaufen.

Wie stellt man das konkret an? Da stehen doch massive Länderinteressen entgegen?
Ferber: Natürlich haben wir eine Vielzahl von Widerständen. Aber es macht doch keinen Sinn, wenn wir in Deutschland etwas auf die Beine stellen und die Franzosen machen das gleiche nochmal, aber anders. Denken Sie an die Verteidigung: Eine Studie der Sicherheitskonferenz hat bereits vor vielen Jahren offenbart, dass Europa in seiner Bewaffnung viel zu diversifiziert und damit hoch ineffizient ist. Da geht es von Socken für die Soldatinnen und Soldaten bis zu komplexen Waffensystemen – Themen gemeinsam anzupacken, wäre auch im Interesse des Steuerzahlers. Wer immer nur die nationale Karte spielt, sorgt dafür, dass die Dinge viel zu teuer sind und viel zu schlecht. Wir brauchen eine europäische Luftabwehr, ebenso wie auch gemeinsame Kampfflugzeuge. Die muss man zusammen entwickeln und bauen. Aber wir kaufen jetzt Kampfflugzeuge in Amerika, weil wir nichts eigenes Europäisches haben.

Wenn man an realistische Zeiträume denkt, vergehen bis dahin doch 15 oder 20 Jahre, nicht?
Ferber: Wir müssen schon kurzfristig auch ein paar Dinge tun, um Sicherheit für die Menschen in Europa garantieren zu können, wenn wir nicht wollen, Opfer eines Angriffskriegs zu werden. Damit meine ich jetzt nicht Deutschland, sondern ein unbestimmtes EU-Land. Wir müssen auch glaubhaft machen, uns schützen und verteidigen zu können. Dazu gehört natürlich das Schutzversprechen der NATO und der USA. Weil Donald Trump dies sehr stark in Frage stellt, müssen wir umso mehr wirklich schnell anfangen, Kapazitäten wieder zu stärken. Bei meinen Gesprächen hier in der Region, zum Beispiel bei Renk, Airbus oder Eurocopter ist die große Bereitschaft zu investieren auch da, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Deswegen denke ich, dass wir das auch in kürzeren Zeiträumen hinbekommen können und einem potentiellen Aggressor auch die Stirn bieten können.

Ganz konkret: Wie kann das funktionieren?
Ferber: Vom Europäischen Parlament aus haben wir für den Aufbau einer gemeinsamen Beschaffungsstrategie ein mit Geld unterfüttertes Programm aufgelegt. Da geht es zum Beispiel auch um komplexere Waffensysteme und einen europäischen Panzer, den die Europäische Verteidigungsagentur jetzt ausgeschrieben hat. Damit hätten wir standardisiertere und günstigere Verteidigungsprodukte und nicht mehr den französischen, den deutschen und den italienischen Panzer – und dabei können wir hier in der Region auch einiges dazu mit einbringen.

Stichwort Verteidigung, Krieg und Ukraine: In der Bevölkerung sieht man die Erweiterung der EU um die Ukraine und weitere Staaten Südosteuropas durchaus mit Sorge. Welchen Blick hat der konservative Europaabgeordnete und die EVP-Fraktion auf das Thema?
Ferber: Es ist ganz klar: Wer in der EU aufgenommen werden will, muss die Kriterien dazu erfüllen. Auf der anderen Seite erleben wir aber auch, wie Russland, China, die Türkei oder der Iran versuchen, in der Ukraine und im westlichen Balkan Einfluss zu nehmen. Da liegt es klar in unserem Interesse, diese Länder enger an uns zu binden. Das größte Problem dieser Staaten ist immer noch die Korruption, die dort in Griff bekommen werden muss. Denn vor
allem die junge Generation dort will die Option Europa endlich sehen. Wenn wir das Versprechen zu Aufnahmeverhandlungen nicht geben, wird sich in diesen Ländern nichts bewegen und uns am Ende deutlich mehr schwächen und mehr Unsicherheit bringen, als diese Länder auf dem Weg in die EU zu begleiten.

Darin liegt doch genau die Angst der Bevölkerung: Wir holen uns immer mehr arme Länder in die EU – und Deutschland bezahlt …
Ferber: Also: Für die Osterweiterung 2004 haben wir zwar über den EU-Haushalt viel bezahlt, aber wir haben über die Entwicklung in Polen, Tschechien oder der Slowakei auch viel verdient. Das zeigen Studien sehr genau: Jeder Euro, den die EU zum Beispiel in Polen investiert hat, um dort Infrastruktur oder Arbeitsbedingungen zu verbessern, hat dort Investitionen ausgelöst, für die man die Produkte im Wesentlichen bei uns gekauft hat. Damit stehen wir beim Return on Investment sehr, sehr gut da. Die Osterweiterung war und ist für uns ein gutes Geschäft, sodass ich mir nicht vorstellen kann, dass das nicht auch in Albanien, Serbien oder auch der Ukraine funktionieren könnte. Aber nochmal: Wer Mitglied in der EU werden will, muss die Kriterien erfüllen, ihren Bürgern Rechtsstaatlichkeit verschaffen und davon sind diese Staaten noch meilenweit entfernt.

 

„Das Mandat der Kommissionspräsidentin heißt Aufnahmeverhandlungen, nicht deren Abschluss.“

 

Wie seriös sind denn dann die Avancen, die Frau von der Leyen dem ukrainischen Staatschef Selenskyj macht?
Ferber: Die sind seriös, weil das von den Staats- und Regierungschefs so beschlossen wurde. Das Mandat der Kommissionspräsidentin heißt „Aufnahmeverhandlungen“, nicht deren Abschluss. Und wir wissen natürlich auch, dass ein Land im Kriegszustand weder in die EU noch in die NATO aufgenommen werden kann und die Ukraine momentan durch den Krieg nicht unbedingt die Ressourcen zur Verfügung hat, administrative Aufgaben der Korruptionsbekämpfung und unabhängiger Justiz umzusetzen. Daher darf es auch nicht sein, dass man Abstriche machen könnte, Prinzipien der Rechtstaatlichkeit zu erfüllen.

Etliche Staaten wollen in die EU hinein, manche Parteien raus. Was entgegnen Sie denen, die die Position rechter Parteien vertreten, aus der EU auszutreten?
Ferber: Zunächst einmal: Der Austritt aus der EU ist für unser Land keine Option. Das sage ich auch überall ganz deutlich und bekomme dafür auch den meisten Applaus in meinen Versammlungen. Dass wir Rechte und Linkspopulisten als Staatschefs in Europa haben, bereitet mir schon Sorge, weil ich im Geschichtsunterricht aufgepasst habe. 1933 kamen die Nazis auch nur über eine Koalition an die Macht. Wichtige Schlüsselressorts wurden zwar nicht mit Nazis besetzt. Die durften jedoch den Reichskanzler stellen. Wenige Monate später gab es die anderen Parteien nicht mehr. Unsere geschichtliche Erfahrung zeigt daher eindeutig, dass es eine Zusammenarbeit weder mit den rechtsextremen Franzosen noch mit den rechtsextremen Deutschen oder Italienern geben kann. Weil Prognosen sagen, dass diese Kräfte stärker werden könnten, heißt das aber auch, dass wir in der Mitte etwas enger zusammenrücken müssen und uns aufs Wesentliche konzentrieren müssen. Europa ist viel zu schade, als es den Rechten zu überlassen. Auch das ist Teil meines Engagements für Europa, einen Beitrag dazu zu leisten, dass das nicht eintritt.

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 85