HISTORIE, ZEITGENÖSSISCH IN SZENE GESETZT

Die „Alte Posthalterei“ in der Mitte Zusmarshausens bietet jede Menge Historie. Diese wurde nun von den Ott Architekten zeitgenössisch in Szene gesetzt.

Marc und Manuela Schumacher sind Pächter der „Alten Posthalterei“ in Zusmarshausen. Marc ist Küchenchef, Manuela ist für die betriebswirtschaftlichen Belange im Haus zuständig. / privat /

Kirche und Wirtshaus sind die beiden Institutionen, die im bayerischen Schwaben weithin eine lange, gemeinsame Tradition haben – oder besser gesagt: hatten. Denn die Zeiten, in denen früher nach dem sonntäglichen Gottesdienst beim Frühschoppen in geselliger Runde über die Dinge des Lebens diskutiert wurde, sind vorbei. Die Glaubenszugehörigkeit nimmt in der Gesellschaft ebenso ab wie die Pflege zwischenmenschlicher Kontakte – Faktoren, die mithin Kirchenflucht und Wirtshaussterben maßgeblich bedingen. Doch auch wenn sich im Kern von Dörfern, Märkten und Kleinstädten heute deutlich weniger gesellschaftliches Leben abspielt – die oftmals bedeutende Architektur rund um den Ortskern ist und bleibt zentraler Bestandteil lokaler Identität. So auch in Zusmarshausen.

Einen Steinwurf von der Pfarrkirche entfernt prägt die markante Fassade der „Alten Posthalterei“ das Bild des Marktes. Das historische Gebäudeensemble aus dem 17. Jahrhundert war lange in Familienbesitz und wurde 2016 von einem Zusmarshauser Investor (Gesellschafter der ortansässigen Firma Sortimo) übernommen, um es als modernen Hotel- und Gastronomiebetrieb wieder zu beleben – eine Bestimmung, die der Gebäudetrakt immer hatte. Als einer der ältesten Gastronomie- und Übernachtungsbetriebe in der Region reicht die Geschichte der „Alten Posthalterei“ bis ins Jahr 1648. Damals lag die Posthalterei auf der Strecke von Wien nach Paris an einer der Hauptverkehrsadern durch Europa. Täglich kamen Kutschen durch die Ortschaft und brachten nicht selten prominente Mitfahrer nach Zusmarshausen. So strickte die Wirtstochter dem leutseligen ersten Bayernkönig Max I. ein paar Socken, nachdem der mit ihr auf der Durchreise nach Baden-Baden scherzte. Fürst Metternich war zu Gast, ebenso Kaiser Franz I. von Österreich, Marie Antoinette oder die russischen Zaren Nikolaus und Alexander II. Drei Nächte lang logierte Franzosenkaiser Napoleon im Oktober 1805 im „Blauen Salon“ der „Post“ – Grund genug für die Architekten, ein in der Farbe Blau gehaltenes „Napoleon-Zimmer“ mit Blick auf die zentrale Kreuzung in Zusmarshausen einzurichten.

 

„Die lange Historie ist eine Komponente des neuen Hauses.“

Ulrike Seeger, Ott Architekten

 

„Die historische Geschichte des Übernachtens von Arm und Reich nach langer Fahrt unter einem Dach ist eine Komponente des Hauses“, beschreibt Ulrike Seeger von Ott Architekten in Augsburg die Ausstattung der luxuriösen „Adels- und Fürstenzimmer“, der kleineren „Posthalterzimmer“ und der günstigeren „Kutscherzimmer“, die nur einen Teil der Architektursprache und des Interieur-Designs widerspiegeln. Das Haus, das im vergangenen Jahr kurz vor dem ersten Lockdown mit Tagungshotel, Familienhotel, Restaurant mit gehobener Küche und einer bürgerlichen Stube eröffnet wurde, stellte Ott Architekten vor echte, planerische Herausforderungen. „Das ohnehin stets sehr kleine Fenster zwischen Planungszwängen wie Kosten, Baukonstruktion, Funktionsanforderungen und gestalterischen Vorstellungen wurde um die Komponenten Altbau und Denkmalschutzbehörden nochmals erheblich komprimiert“, erinnert sich Architekt Wolfgang Ott an „täglich neue Entdeckungen auf der Baustelle“, die im Nachgang aufwändige Umplanungen erforderlich machen sollten. Dabei waren bereits die Rahmenbedingungen für das historische Juwel im Zentrum Zusmarshausens alles andere als einfach. „Hohe finanzielle Risiken und geringe Freiheiten moderner Umnutzung sind bei solchen Projekten manchmal eine Falle für Investoren, wenn sie versuchen, eine mögliche Anlagerentabilität zu berechnen“, sagt Ott und beschreibt eine von zahlreichen „Anekdoten“ (Ott), die er mit den Baubehörden in der Alten Posthalterei erlebt hat. „Besonders herausfordernd war es, eine Lösung für den baufälligen Ostflügel zu finden: Der alte Holzdachstuhl wurde in einer spektakulären Aktion komplett aufgeständert, um die marode Substanz darunter entsprechend der strengen Denkmalschutzauflagen rückbauen zu können. Heute ist der offene Dachstuhl ein besonderer Blickfang für Gäste.“

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 73