„SPIELREGELN EINHALTEN!“

Der Immenstädter Historiker und wissenschaftliche Restaurator Helge Bartsch kämpft für alte Baukultur – und hadert damit, dass viele Allgäuer Baubestand nur materiell sehen.

Helge Bartsch ist Historiker, freiberuflicher wissenschaftlicher Restaurator und Sachverständiger für Möbelrestaurierung und Baudenkmalpflege. Bei seiner Tätigkeit kommt ihm seine handwerkliche Ausbildung als Kunsttischlermeister, In­tar­seur, Bildhauer und Kunstmaler zugute. / Wolfgang Strobl /

Unten am Niedersonthofener See sprießt das erste Frühlingsgrün. Eine Viertelstunde Fahrzeit später schlängelt sich die Straße kurvig auf rund 900 Höhenmetern durch den Wald. Es ist rau, zugig. Und es schneit, als eine Handvoll Häuser in Sicht kommt. Im Weiler Reute, einem Stadtteil von Immenstadt, widmet sich ein ganzer Familienverbund um historisches Bau-Erbe: Familie Bartsch.

„Die Leute kommen nicht wegen der schönen Hotels ins Allgäu. Sie wollen gewachsene Kultur sehen, die einen spannenden Bogen für die Gäste schlagen.“ Aus seiner Überzeugung macht Helge Bartsch keinen Hehl. Man merkt ihm an, dass es ihn förmlich schmerzt, dass die Vielzahl der Allgäuer nur materielle Gesichtspunkte im Kopf hätten, wenn es um historischen Gebäudebestand in der Region geht. Zu oft hat er schon gehört „Schiabet doch des alte G’lump weg“, wenn es in einem konkreten Fall darum geht, die Entscheidung zwischen Sanierung und Neubau zu treffen. „Wenn es um ein historisches Gebäude geht, sehen viele nur die materiellen Gesichtspunkte“, ärgert sich der Historiker und Bauforscher, „dabei sollte man doch auch die ideologische und psychologische Seite im Blick haben.“ Denn Solitäre wie ein historischer Bauernhof, ein schönes städtisches Bürgerhaus oder ein schönes Dorfensemble im Ortskern zeigen „wertvolle Kulturgeschichte“ und „sind ein direkter Spiegel der historischen Entwicklung einer Region.“

 

„Die Leute kommen nicht wegen der Hotels ins Allgäu, sondern wegen der Kultur.“

Helge Bartsch

 

Daher war es für Helge Bartsch selbstverständlich, sich genau ein solches Haus auszusuchen, als es ihn aus dem nordrhein-westfälischen Meinerzhagen in den Süden Deutschlands gezogen hat. Er fand im kleinen Weiler Reute bei Immenstadt ein – sein – kleines Juwel: „Das war einst ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude, das 1743 im Zuge der Vereinödung hierher versetzt wurde“, erklärt der Familienvater und Kunsttischlermeister, der mit seinem Sohn Raffael und Schwiegertochter Nadine von diesem abgeschiedenen Ort aus in der Baudenkmalpflege tätig ist. Das Team arbeitet auch in der Möbelrestaurierung, für Rekonstruktionen, in der Bauforschung und Glasmalerei und erstellt Dokumentationen. Die eigene Kompetenz kam ihm zugute, als das Haus von der Familie selbst umfassend restauriert wurde. Beispielsweise die alten Fenster, gegen die an diesem kalten Frühjahrstag auf rund 900 Metern Höhe der Wind kräftig den Schnee an die Scheiben bläst. „Wir haben zwei Drittel der alten Ruckerfenster, die hierher gehören, wieder gefunden, haben sie wiederhergestellt und sie erneut in die passenden Fensterstöcke eingesetzt“, freut sich der Bauspezialist auch darüber, wie dicht die alte Konstruktion sich auch in unserer modernen Zeit beweist.

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 73