Seit 20 Jahren ist Norbert Kiening Vorsitzender des Berufsverbandes der Bildenden Künstler Nordschwaben und Augsburg. Nach 36 Jahren freischaffender künstlerischer Tätigkeit hatte er nun seine erste Einzelausstellung.

Norbert Kiening, 67, ist Künstler, Grafiker und seit 20 Jahren Präsident des Berufsverbandes der Bildenden Künstler Nordschwaben und Augsburg e.V. (BBK). Aufgewachsen ist er in den 1960er-Jahren in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Die Umgebung formt den Menschen, ist ein viel zitiertes Sprichwort. Wir haben ihn gefragt.
Als der Hund auf der alten Römerstraße in Dachau in das Konzentrationslager rannte, rief der Knecht, dem der Hund gehörte, vom Heuwagen den Wachleuten zu: „Mein Bruder hat ein Gewehr, der kummt…“. „Daraufhin hat man den Hof des Bruders sofort auseinandergenommen“, sagt Norbert Kiening. Es ist eine dieser Geschichten aus der dunkelsten Zeit Dachaus, die der kritischen Außenbetrachtung eine Rahmung geben, wie in Dachau und den umliegenden Dörfern die Zeit erlebt wurde. Duldung, Repressalien, Angst und sicher auch Kollaboration. Kiening ist ganz in der Nähe aufgewachsen, in dem 350-Einwohnerdorf Prittlbach. „Mein Vater war selbständiger Landwirt und Bürgermeister. In der Familie waren fast alle politisch interessiert oder sie saßen gleich im Gemeinderat. So ein Clan, nicht revolutionär, eher pragmatische Bauern. Das hat mir geholfen“, sagt er. Die Verästelungen gingen so weit, dass bei seiner Kriegsdienstverweigerung sein Onkel in der Kommission saß und die Anhörung wegen Befangenheit nicht stattfinden konnte. „Er kam dann auf unseren Hof und hat mir ins Gewissen geredet. Ich habe mir aber nix sagen lassen“, erzählt Kiening. Den Kriegsdienst hat er aus Überzeugung verweigert. „Für mich war das auch ein Akt der Rebellion“, sagt er.
Wie alle, die sich auf das ungesicherte Seil künstlerischer Selbstständigkeit wagen, hatte auch Norbert Kiening Zweifel – und sich einen Traum erfüllt.
Ein Wort, dass bei der Beschreibung seiner künstlerischen Arbeit noch einmal auftauchen wird. Widerständigkeit, gesellschaftspolitische Einmischung und sich nichts sagen lassen, waren zwar klassische Elemente der Jugendlichen der 1960er- bis 80er-Jahre, aber die Herkunft aus der Nähe eines Konzentrationslagers hat so manchen noch einmal besonders in die Verantwortung genommen. Bezüge zum Konzentrationslager gab es auch für Kiening. Ende der 80er-Jahre engagierte er sich für eine Jugendbegegnungsstätte in Dachau. Ein ehemaliger Dachauer KZ-Häftling lud die jugendliche Künstlergruppe zu einer Ausstellung nach Südfrankreich ein.
Dass Erfolg der beste Antrieb sein kann, erfuhr Norbert Kienig während seiner Druckerlehre. Für den Künstler Richard Huber wurden Holzschnitte gedruckt. Also fertigte Kiening, motiviert durch die Arbeiten von Huber, Ansichten von seinem Dorf an, die sich, wenn auch für wenig Geld, gut verkaufen ließen. „Ich bin dann auf die Künstlergruppe des Dachauer Malers Wolfgang Huss gestoßen. Mir war klar, ich musste Zeichnen und künstlerische Techniken kennenlernen. Parallel dazu habe ich meinen Zivildienst gemacht“, sagt Kiening. Schließlich besuchte er die Fachhochschule Augsburg, die er als Diplom-Designer verließ.
Seit 1989 arbeitet er als freischaffender Künstler und 2005 wurde er als Nachfolger von Annemarie Helmer-Heichele zum Ersten Vorsitzenden des BBK Nord gewählt. Acht Jahre war er Mitglied im Baukunstbeirat der Stadt Augsburg – viel erreicht, auch sein umgebauter Bauernhof bei Diedorf als Wohn- und Atelierhaus gehört dazu. Doch wie alle, die sich auf das ungesicherte Seil der künstlerischen Selbstständigkeit wagen und kaum finanzielle Polster von zuhause mitbekommen, hatte auch Kiening Zweifel. Zweifel, die bei den meisten Künstlern erfragt werden müssen, weil die öffentliche Meinung zu diesem Thema leicht zynische Züge trägt: „Dann sollen die was anderes arbeiten“. Zweifel, die man besser mit sich selbst ausmacht, die viele Künstler mit Familie, völlig unbeobachtet, scheitern lassen. Die Entscheidung zwischen Beruf und Berufung ist mehr als nur eine Begrifflichkeit. Kiening hat diese Entscheidung getroffen und sich dabei sogar einen Traum erfüllt. „Meine Eltern waren selbstständig. Ich wollte nicht acht oder zwölf Stunden in der Fabrik arbeiten. Mein erstes Atelier hatte ich im Stadl unseres Hauses und dann im alten Krämerladen, den meine Mutter betrieb. Für mich war das Miteinander wichtig“, sagt er. Diese Prägung, das Zuhause mit der Arbeit zu verbinden, ist ihm gelungen.

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 90