In Aletshofen baut Nebenerwerbslandwirt Christian Müller mehr als 200 Kartoffelsorten an. Er weiß um den Wert dieser Frucht als Kulturpflanze, über die er auch jede Menge zu erzählen hat.

„Sieglinde“ wird dieses Jahr 90 Jahre alt. Sie ist mit Abstand die bekannteste Kartoffel, die in Deutschland angebaut und verkauft wird. Doch nicht überall wo „Sieglinde“ draufsteht, ist auch Sieglinde drin. Christian Müller, 50, gelernter Großhandelskaufmann und Nebenerwerbslandwirt aus dem Ettringer Ortsteil Aletshofen, kennt sich aus. Er baut über 200, zum Teil längst vergessene, Kartoffelsorten an. „Mir geht es auch darum, Kulturgut zu erhalten“, sagt er, was ihm vom ehemaligen Heimatpfleger Prof. Dr. Hans Frei den Namen „Kartoffelpapst“ einbrachte.
Weniger heilig ist der EU die Kennzeichnung von Kartoffeln. „Laut EU muss der Sortenname nicht richtig sein. Auf der Verpackung soll der Kochtyp stehen, die Größe, Erzeuger und Abpackbetrieb. Heißt: Nicht in jeder Packung ‚Sieglinde‘ ist diese Sorte drin. Diese Kartoffel wird auf nur zwei Hektar bundesweit angebaut, was einen maximalen Ertrag von 40 Tonnen ergibt. So viel ‚Sieglinde‘ kann es gar nicht geben, wie Werbung dafür gemacht wird. Mein Saatguthändler hat sie nicht mehr im Programm“, sagt Christian Müller. Es geht um den Ertrag und da sieht es in einem wachsenden Markt schlecht für „Sieglinde“ aus. Es gibt weltweit geschätzt 10.000 Kartoffelsorten und es werden jedes Jahr mehr. „Neue Kartoffelzüchtungen brauchen zehn bis 15 Jahre, bis sie marktfähig sind. Für alte Sorten, deren Lizenzen nach 30 Jahren auslaufen, gibt es kein Saatgut mehr. Den Franzosen ist es zu verdanken, dass man alte Sorten in kleinen Mengen vermehren darf“, sagt Müller.
Es geht um Ertrag – und da sieht es schlecht um „Sieglinde“ aus
Seine Anbaufläche beträgt ein Hektar. In besten Zeiten kommen zwanzig Tonnen zusammen. „Im letzten Jahr waren es nur drei Tonnen, weil das Wetter für Kartoffelanbau zu ungünstig war. Ich bin ja Biobauer und meine alten Sorten sind nicht sehr ertragreich. Die konventionellen Landwirte bauen Sorten mit hohem Ertrag an, bei denen es weniger um den Geschmack geht als um die Menge. Denn die Kartoffel ist eines der verbreitetsten Lebensmittel weltweit, deswegen gehen die neuen Züchtungen Richtung Ertrag. Ziel ist es Kartoffeln zu züchten, die genauso schnell gar werden wie Nudeln. Die Engländer züchten in die Richtung, aber der Trend ist bei uns noch nicht angekommen“, erzählt Müller.
Auch in Asien ist die Kartoffel der Sattmacher Nummer 1, nicht der Reis. Christian Müller: „Der Ertrag aus Kartoffelanbau ist viel größer als der aus dem Getreideanbau, weil sich beim Kartoffelanbau der Ertrag vom Anbau bis zur Ernte verzehnfacht“, weiß der Ettringer, warum Kartoffeln weltweit ihren Siegeszug angetreten haben: „Es gibt Kartoffeln, die kommen sehr gut mit Feuchte und Hitze klar. Andere Kartoffelsorten wachsen in Höhenlagen und bei Temperaturen, wo es für Getreide schwierig wird. Der Kartoffelanbau in Südamerika, in Peru ist seit über 10.000 Jahren nachweisbar.“
Als Notration fanden Kartoffeln 1565 ihren Weg nach Europa
Die Spanier haben um 1565 Kartoffelknollen auf ihren Schiffen als Notration aus Südamerika mitgebracht. Von dort aus verbreitete sie sich schnell in ganz Europa. Bereits Ende des 16. Jahrhunderts gab es in Spanien Kartoffelanbau von größerer Bedeutung. Ab 1625 kam die „tolle Knolle“ über Baden und Württemberg auch in unsere Gefilde. Noch vorher war sie in England angekommen, wo sie seit 1596 historisch belegt ist. Auch in Schottland spielte die Kartoffel eine wichtige Rolle, wo der Anbau 1728 begann: „Als Getreide hatten die Schotten nur Gerste. Aber aus Gerste kann man kein Brot backen, nur Getreidebrei herstellen. Oder Whisky brauen, natürlich. Kartoffeln aber machten die Leute satt“, weiß Müller. Daraus folgte in Preußen der „Kartoffelbefehl“, den Friedrich II. Mitte des 18. Jahrhunderts erließ. Es mussten Kartoffeln angepflanzt werden. „Das ist genau das Richtige für mich, dachte sich wohl der Alte Fritz. Eine satte Landbevölkerung ist zufriedener und gesünder und es gibt mehr Kinder und Soldaten“, so Müllers Erklärung.

Lesen Sie mehr
in der top schwaben Ausgabe Nr. 89