„WERTECARTA“ FÜR DIE SCHULE

Seit 2019 können sich Jugendliche an weiterführenden Schulen zu Wertebotschafterinnen und Wertebotschaftern ausbilden lassen. Damit prägen sie die Atmosphäre an ihrer Schule und im Alltag mit.

Elijah Rohn, Jana Burmair, Amelie Göth und Lehrer Julian Grotz sind am Augsburger Jakob-Fugger-Gymnasium in Sachen Wertebildung engagiert. / Stefan Mayr /

„Non vitae sed scholae discimus“ klagte der römische Philosoph Seneca in einem Brief über die Alltagsferne von Lehre und Bildung zu seiner Zeit. „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“ lautete seine Kritik, die heute freilich meist in umgekehrter Reihenfolge zitiert wird. Und so könnte, knapp zwei Jahrtausende später, der Stoiker auch recht zufrieden sein mit Blick auf eine Initiative, die der Freistaat Bayern vor rund sechs Jahren ins Leben rief: Seit 2019 können sich Jugendliche aus weiterführenden Schulen zu Wertebotschaftern und Wertebotschafterinnen ausbilden lassen – und mit ihren Ideen zur Wertebildung nicht nur den Alltag und die Atmosphäre an ihren Schulen mitprägen, sondern mit anderen fürs Leben lernen.

„Schön, dass du da bist“: Das sagt man eigentlich viel zu wenig zu seinen Mitmenschen. Im Jakob-Fugger-Gymnasium in Augsburg kann man dagegen schon einmal mit so einem motivierenden Satz begrüßt werden. Mitverantwortlich dafür ist die 17-jährige Jana Burmair, die erste Wertebotschafterin an ihrer Schule. Lehrer Julian Grotz hatte die Schülerin, die sich auch in seinem Wahlfach „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ beteiligt, auf die bayernweite Ausbildung angesprochen. Und die war sofort Feuer und Flamme: „Ich fand diese Idee richtig cool.“

2022 absolvierte Jana Burmair den einwöchigen Kurs, der von der Initiative „Werte machen Schule“ des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung in München angeboten wird. Bei der Einrichtung, die dem Kultusministerium zugeordnet ist, laufen die Fäden zur Wertebildung an bayerischen Schulen zusammen. Das reicht von der Verankerung der Werteerziehung im Lehrplan über entsprechende Schulentwicklungsprozesse bis hin zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern als Wertemultiplikatoren. Basis für diese Arbeit ist die bayerische Verfassung, die den Schulen ausdrücklich als Aufgabe mitgibt, nicht nur „Wissen und Können“ zu vermitteln, „sondern auch Herz und Charakter“ zu bilden. Werteerziehung gehört daher auch zu einem der zentralen fächerübergreifenden Bildungs- und Erziehungsziele, die im sogenannten „LehrplanPlus“ verankert sind.

Das liest sich zunächst noch reichlich theoretisch – und auch bei Jana Burmair stand auf dem Weg zur Wertebotschafterin erst einmal viel theoretische Bildung an, bevor es an die praktische Umsetzung ging: „In der Ausbildung ging es zunächst darum, was Werte überhaupt sind und welche Werte für uns die wichtigsten wären.“ Eine Frage, die sich auch eine Schulentwicklungsgruppe am Augsburger Holbein-Gymnasium stellte: Schülerinnen und Schülern, engagierte Eltern und Mitglieder des Kollegiums machten sich vor einiger Zeit auf den Weg, um eine „Wertecharta“ für das Haus zu entwickeln. „Wir wollten kein von oben gesteuertes Leitbild, sondern einen gemeinsam erarbeiteten Wertekatalog, der ausdrückt, wofür das Holbein steht“, betont Schulleiter Stephan Hildensperger.

 

An einer großstädtischen Schule wie dem Holbein-Gymnasium in Augsburg sind 45 Nationen unter einem Dach. Da sind Respekt und Toleranz für das Zusammenleben wichtig.

 

An einer großstädtischen Schule wie dem Holbein sind Kinder und Jugendliche aus 45 Nationen unter einem Dach. „Dinge wie Respekt und Toleranz sind da einfach wichtig, damit das Zusammenleben klappt“, meint der 19-jährige Johannes Münch, „so zum Beispiel, dass man sich auch mal mit dem kulturellen Hintergrund seiner Mitschüler beschäftigt und so manches besser versteht.“ Auf sechs Hauptwerte beziehungsweise Überbegriffe für das Holbein hat sich die Gruppe schließlich verständigt. „Das war echt ein intensiver Prozess, bei dem ich aber schon für mich auch viel gelernt habe“, erzählt Schülerin Gladys Gerezgiher (18). Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Bildung, Respekt und Wertschätzung, Eigenverantwortung: Diese sechs Überbegriffe sollen nun mit konkreten Maßnahmen und „mit Leben gefüllt“ werden, so Andrea Tretter aus dem Holbein-Kollegium, die das Projekt koordinierte. „Das Tolle daran ist eben, dass diese Begriffe nicht nur für eine Gruppe, beispielsweise nur für die Schüler, sondern für alle gelten“, ergänzt Gladys Gerezgiher. Sie macht dies aus ihrer Sicht am Aspekt „Gewaltlosigkeit“ deutlich: „Das kann sich auf die Art beziehen, wie ein Lehrer mit den Schülern spricht, ob das abwertend oder gewaltfrei ist, aber auch auf Cybermobbing, wie es unter Schülern leider immer wieder vorkommt.“

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 89