DER KAMPF UM FREIHEIT

Als 1525 einfaches Volk im Bauernkrieg seine Freiheit fordert, wird in Memmingen
Weltgeschichte geschrieben: In der Reichsstadt wird die erste bekannte deutsche Forderung nach Freiheits- und Menschenrechten proklamiert – und jetzt gefeiert.

Am Haus der Kramerzunft erinnert ein Fassadengemälde an die Verkündung der „Zwölf Artikel der Bauern“ 1525 in Memmingen. / Gregor Lengler /

Es ist eines der höchsten Rechte, das vor fast genau einem halben Jahrtausend im Schwäbischen gefordert und erstmals gedruckt unter das Volk gebracht wurde: Freiheit. Im März 1525 wurden in Memmingen die „Zwölf Artikel der Bauern“ proklamiert, die in der Freiheitsgarantie des Artikel 2 im Grundgesetz noch immer einen der bedeutendsten Werte in Deutschland darstellen, wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade in seiner Festrede zum Jubiläumsjahr in Memmingen feststellte.

Man schrieb den 15. März 1525. In der Freien Reichsstadt Memmingen kamen seit Wochen bäuerliche Abgeordnete zusammen, um ihre Forderungen gegenüber der Obrigkeit zu fixieren. Vor dem Hintergrund einer Revolte, die sich 1524 ausgehend vom Schwarzwald bald über Oberschwaben, Württemberg und den Bodensee auch ins Allgäu, nach Franken, Hessen, Sachsen, Thüringen und ins Elsass erstreckte, begehrte das „einfache Volk“ gegen die Zumutungen ihrer Herrschaften in den Burgen und Schlössern wie auch in den Klöstern und Bischofssitzen auf. Bauern, die oftmals Leibeigene des Adels und der Kirchenfürsten waren, Handwerker, Tagelöhner, Bergleute und fahrendes Volk hatten sich bereits zu Kampfgruppen zusammengeschlossen und bildeten sogenannte „Haufen“. Von den drei schwäbischen „Haufen“ zwischen Biberach und Ulm („Baltringer Haufen“), im Allgäu („Allgäuer Haufen“) und nördlich des Bodensees („Seehaufen“) kamen etwa 50 Männer als Abgesandte nach Memmingen, um ihre Sache im Haus der Kramerzunft zu beraten.

Als „Revolution des gemeinen Mannes“, wie der durch seine Herkunft eng mit dem Allgäu und Oberschwaben verbundene Geschichtsprofessor Peter Blickle (1938–2017) den Aufstand nannte, ging es den Bauern und ihren Verbündeten nicht um einen radikalen Umsturz des mittelalterlichen Ständesystems, sondern um Verbesserung ihrer immer prekärer werdenden Lebensumstände. Im schlimmsten Fall besaßen die Aufständischen als Leibeigene weder Eigentum, noch konnten sie ein selbstbestimmtes Leben führen und mussten ihren klerikalen oder adeligen Herren Abgaben und Frondienste leisten. Daher war dem Bauernparlament, das sich im Haus der Kramerzunft beriet, die Freiheit elementar. „Aus der heiligen Schrift ergibt sich, dass wir frei sind – und das wollen wir auch sein!“ (Darumb erfindt sich mit der geschryfft das wir frey seyen vnd wollen sein.) formulierten die Bauern die Forderung nach dem Ende ihrer Unterdrückung und beriefen sich dabei auf ihre von Christus erkämpfte Freiheit.

 

„Die 12 Artikel waren keine Randglosse der deutschen Geschichte.“

Frank-Walter Steinmeier

 

500 Jahre später steht der deutsche Bundespräsident an dem Ort, wo 1525 der Reformator und Theologe Christoph Schappeler die neuen Ideen predigte. „Die Zwölf Artikel, die hier vor 500 Jahren entstanden, waren keine Randglosse der deutschen Geschichte“, so Frank-Walter Steinmeier in der Memminger St. Martins-Kirche beim Festakt zu diesem besonderen Jubiläum, „sondern sie waren Auslöser für eine Freiheitsbewegung, die sich wie ein Lauffeuer über ganz Süd- und Mitteldeutschland verbreitete. Memmingen war damals im Zeitalter der Reformation der Ausgangspunkt eines Massenaufstands für Freiheit und Recht, wie es ihn dann in West- und Mitteleuropa bis zur Französischen Revolution nicht mehr geben sollte.“ Dass dieses epochale Ereignis lediglich als „Bauernkrieg“ in die Geschichte eingegangen ist, sei mindestens unvollständig und werde seiner eigentlichen Bedeutung nicht gerecht, so das deutsche Staatsoberhaupt, das die Geschehnisse damals als „herausragendes Zeugnis deutscher Freiheitsgeschichte“ betont.

Die heutige demokratische Selbstbestimmung mit gleicher Freiheit und gleichen Rechten für alle ließe klarer erkennen, „was unsere freiheitliche Demokratie heute ausmacht, was für einen Wert sie hat“, ist Steinmeier überzeugt. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zeigt sich von den wegweisenden Inhalten der 500 Jahre alten Schrift beeindruckt: „Sie ist eine der frühesten bekannten Forderungen nach Freiheits- und Menschenrechten und ist vergleichbar mit der Magna Carta, der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Sie wird international viel zu wenig wertgeschätzt.“

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in der top schwaben Ausgabe Nr. 89